Sammlung verschiedener Blogs zum Thema Autismus

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Die derzeitige Situation ist für uns alle ein enorme Herausforderung. Unser komplettes Leben steht gefühlt auf dem Kopf. Wie mag es da in den Köpfen unserer Kinder wohl aussehen? Einigen Kindern kann man erklären, was die Maßnahmen, die aufgrund des Coronavirus getroffen wurden, bedeuten. Warum darf man nicht zu Freunden? Wieso muss man Zuhause bleiben? Und wieso kommt Oma und Opa nicht zu Besuch? Viele Fragen mit schwierigen Antworten. Philipp stellt sich viele dieser Fragen nicht und dennoch kam gestern eben genau diese eine Frage auf: "Wo ist Oma?" Nach meinem gestrigen ersten mündlichen Versuch, hab ich mir heute etwas für ihn überlegt und mir dabei seine Methode sich die Dinge zu erklären zu Nutze gemacht.

Ich muss ja sagen, Philipp ist wahrscheinlich nicht allzu sehr von der Corona-Krise betroffen. Ich denke schon, er vermisst seinen Kindergarten. Aber er hat auch nichts dagegen Zuhause so ein bisschen zu faulenzen. Auch auf soziale Kontakte legt er ja keinen gesteigerten Wert. Freunde hat er nach wie vor keine, die er besuchen möchte und auch Besuche Zuhause sind für ihn nicht wirklich interessant. Worüber er sich natürlich durchaus freut, wenn es um seine Emis (seine Cousinen) geht und die ganz große Ausnahme ist natürlich seine Oma. Zwar wohnen die Großeltern nicht gerade ums Eck und arbeiten auch noch, was Besuche jetzt nicht regelmäßig zulässt, aber die Freude ist jedes mal riesig, wenn sie mal da sind. Aufgrund der ohnehin leider unregelmäßigen Besuche, hat es jetzt auch ein bisschen länger gedauert bis die Frage aufkam. "Wo ist Oma?"

 

"Philipp, komm mit raus. Ein Paket von Oma ist gerade gekommen."

Ein Satz, den Philipp nur missverstehen konnte. Was versteht Philipp? Oma ist da. "Jaaaaa!" Philipp springt jubelnd auf und wollte direkt nach draußen laufen. Jetzt musste schnelle Aufklärung her, damit die Enttäuschung, wenn gleich nur ein Paket hinterm Zaun liegt, nicht zu groß ist. Mit kurzen Sätzen und Worten, die er gut kennt, versuchte ich also zu erklären.

Oma kann nicht kommen.

Oma muss Zuhause bleiben.

Oma wird krank.

Oma muss ins Krankenhaus.

Die Erklärung hat zumindest so viel geholfen, dass Philipp klar war, Oma steht nicht draußen vor der Tür. Aber was hat er verstanden? Vermutlich so: Oma ist krank, kann nicht kommen und muss ins Krankenhaus. Ihm ist der Zusammenhang bewusst, wenn Menschen ins Krankenhaus müssen, weil sie alt und krank sind, dann weg sind (sterben). Das Bild oben, hat er unmittelbar nachdem wir Omas Paket geöffnet haben, mit den neuen Stiften gemalt. Ein Herz für seine Oma mit einem Krankenhaus drüber und Oma mit einem Fragezeichen versehen (Wo ist Oma?).

Alles worüber sich Philipp Gedanken macht, verarbeitet er in seinen Bildern. Er malt und "schreibt" nahezu seine gesamte Freizeit. Auch als er vorhin ein Youtube Video geschaut hatte, in dem ein kleines Kätzchen in einen Schacht gefallen war, erklärte er mir mit diesem Bild. Was machen die Menschen da? Sie suchen etwas. Kurz: "Wo ist die Katze?"

Also hab ich für ihn eine Plan gezeichnet. Was passiert, wenn Oma und Opa Zuhause bleiben und was passiert, wenn sie uns besuchen kommen? Abgeleitet hab ich die Idee von den alternativen Handlungsplänen. Zwei Wege führen zu einem unerwünschten Ziel und einem positiven Ziel. Natürlich ist es sehr vereinfacht dargestellt. Denn ob Oma und Opa überhaupt krank werden, hängt selbstverständlich nicht nur vom Besuch bei den Enkelkindern ab. Aber für Philipp reicht diese Information so aus. Auch den Coronavirus zu erklären würde absolut keinen Sinn machen. Weshalb die kindgerechten Videos sinnlos für Philipp sind, da er keinen Bezug zu sich und uns dabei sieht.

Der momentan richtige Weg (oberer Weg mit Häkchen) zeigt: Oma und Opa "bleibt Zuhause", wird "nicht krank" und "später kommt" zu Philipp und Florian. Der zur Zeit falsche Weg (unterer Weg mit "X") zeigt: Oma und Opa "kommt" zu Philipp, Florian, Mama und Papa, wird "krank" und "kommt" ins Krankenhaus. Da er unsere Namen, sowie "Mama, Papa, Oma und Opa" kennt, habe ich dieses mal bewusst auf Fotos verzichtet und alles gezeichnet.

Das erklärt Philipp natürlich nicht die gesamte Tragweite der Situation und vor allem auch nicht die zeitliche Dimension dieser "Vorschrift". Aber mit den meisten Dingen verhält es sich ja so. Egal ob positive Ereignisse, regelmäßige Aktivitäten und Termine, sie sind für Philipp zeitlich nicht absehbar. Darum gibt es einen Tages- und Wochenplan, wo wir auch diese Erklärung auf die Frage "Wo ist Oma" hinhängen werden.

Ich hoffe für uns alle, dass dieser Ausnahmezustand nicht mehr allzu lange anhält. Dass wir gesund durch diese schwere Zeit kommen und schon bald unsere Liebsten wieder in die Arme schließen können.

Wenn man mit seinem Kind zu einem Psychologen oder einem Psychiater geht, dann tut man das als Mutter und Vater in der Hoffnung, dass diese doch wissen, was sie zu tun haben. Jetzt ist die Psychologie natürlich eine Wissenschaft, die zwar auf jahrelangen Forschungen beruht, allerdings können Psychologen nicht etwa auf verlässliche Testergebnisse wie nach einem Bluttest zurückgreifen, nicht den Blutdruck messen und ein Medikament verschreiben. Die Einschätzung erfolgt auf einer subjektiven Einschätzung von Tests. Beobachtungen werden gemacht und daraus wird sich eine Meinung gebildet und letztlich eine Diagnose gestellt. Was bleibt einem als Eltern übrig, wenn sie der Einschätzung der Ärzte nicht folgen können, weil sie ein völlig anderes Bild ihres Kindes haben? Weitersuchen, eine andere Einrichtung, einen neuen Psychologen finden? Wir stehen jetzt vor der Frage und stehen einmal mehr vor der Entscheidung was wir tun sollen.

Vor einigen Tagen hatte ich das Verlaufsgespräch bei Philipp seiner KJP-Praxis. Ich ging eigentlich guter Dinge dort hin. Mit Philipp läuft es momentan ziemlich gut, er war gut im neuen Kindergarten angekommen, Zuhause machen wir mehr und mehr Fortschritte und auch die Sprache kommt langsam in Gang. Von dem Termin versprach ich mir eigentlich, dass wir endlich den Termin für den ADOS bekommen. Bislang hatten wir monatliche Einzelstunden, in denen Philipp frei spielen durfte. Erst in den letzten Stunden hatte die Psychologin versucht ihm Aufgaben vorzugeben und das eskalierte jedes mal (Dinge schmeißen, schreien, gegen die Tür treten und am Ende einnässen). Seine absolute Ablehnung ist auch der Grund, warum sie sich nicht in der Lage fühlen, einen ADOS mit ihm durchzuführen.

Und jetzt das doch sehr ernüchternde Gespräch. Nachdem wir schon mehrmals, auch in Absprache mit dem Kindergarten, es abgelehnt haben, Philipp Methylphenidat zu geben, war dies gleich zu Beginn des Gesprächs wieder Thema. Sie möchten unbedingt Philipp unter Medikamente sehen, wie er sich dann verhält. Sie sehen in ihm zwar durchaus viele Merkmale, die einer ASS zuzuordnen sind, allerdings erleben sie ihn als sehr sprunghaft, was für sie eher einer Aufmerksamkeitsstörung, wie ADHS, näher kommt. Das könne man ihm auch schon sicher diagnostizieren. Vor allem, dass er auch Verhaltensweisen zeigt, wie andere umarmen, gerne mit den Augen zuzwinkert, aber auch aggressives Verhalten, auch um in Interaktion zu treten, sei äußerst untypisch für Autisten. Uff, da waren sie wieder die alten Ansichten des gefühllosen Autisten, der niemanden umarmen kann, dachte ich mir nur. Und seit wann bitte, werden Autisten nicht aggressiv und zeigen kein herausforderndes Verhalten? Beispiele meinerseits, dass mich sogar ein autistischer Junge (mit fester Diagnose) in Philipps Kiga umarmt ohne mich wirklich zu kennen, wurden damit argumentiert, dass diese Diagnose auf subjektiver Einschätzung beruht und bei ihnen viele diagnostizierte Kinder kommen, bei denen sie aber keinen Autismus sehen. Ja, schon klar.

Philipp kann durchaus einen kurzweiligen Eindruck schaffen, er sei sprunghaft. Ihn in ein Spielzimmer zu stecken, voller neuer Spielsachen, die zu erkunden sind und dann zu behaupten, er könne sich nicht auf eine Sache konzentrieren, wäre genauso, wie wenn man über ein Kind an Weihnachten mit allen Geschenken sagen würde es sei sprunghaft. Sowohl Zuhause als auch im Kiga, kann er sich sehr wohl auf Aufgaben konzentrieren und auch dabei bleiben, sofern die Art und Weise, wie er gefordert wird, stimmt. Es ist schwierig ihn manchmal richtig zu motivieren, aber das liegt meist auch an der Herangehensweise. Und auch nachdem die Aufmerksamkeit ebenso aufgrund einer anderen Wahrnehmung ein Problem bei Autismus ist, kann ich eine Aussage, dass es eben eigentlich nur in die Richtung ADHS gehen kann, nicht ganz nachvollziehen.

Noch sind die weiteren Termine nicht abgesagt und wir haben jetzt einige Tage darüber nachgedacht, was wir nun tun wollen. Im Prinzip haben wir momentan keinen Zeitdruck. Er hat jetzt einen sehr guten Kiga-Platz, wo er optimal gefördert wird, er bekommt Ergo und Logo, wo er bereitwillig mitmacht und er macht jede Menge Fortschritte. Alles was wir Zuhause machen, auf Grundlage von TEACCH, haben wir uns schon beigebracht. Er lebt so gut mit diesem System und verlässt sich auf diese Strukturen. Bisweilen würde eine Diagnose nicht sehr viel ändern.

Nur eine Sache würde sich ändern.

Gewissheit.

Es wird kälter, es ist nass und nebelig. Morgens stehen wir draußen und frieren langsam doch, während wir auf den Bus warten. Mütze und Schal sind schon länger Bestandteil der Garderobe und unser kleiner Flo ist auch froh über seine Winterjacke. Doch eine Winterjacke hängt bis jetzt noch brav an ihrem Garderobenplatz und möchte von ihrem Besitzer nicht angezogen werden. Da steht er, unser Philipp, mit seiner doch relativ dünnen Softshelljacke, die selbst mir mittlerweile zu kalt ist. Und ja, ich weiß, er hat im Vergleich zu manch anderen autistischen Kindern wirklich viel an.

Wenn es beim Thema Kleidung nur die Winterjacke wäre. Sich etwas anziehen, findet Philipp für so ziemlich überflüssig. Zuhause rennt er deshalb bevorzugt ohne herum. Wir ziehen ihn morgens an und spätestens nach dem ersten mal Toilette gehen, kommt er ohne auch nur ein Kleidungsstück am Körper wieder runter. Die meiste Zeit lassen wir ihn dann und nur wenn Besuch kommt, muss er sich wieder anziehen. Seltsamerweise gibt es da für ihn auch Unterschiede bei Besuchern, denn vor manchen zieht er sich nicht aus und bei anderen scheint offenbar eine Vertrauensbasis da zu sein und er zeigt sich eben so wie er sich zuhause am wohlsten fühlt. Was absolut gar nicht für ihn geht, wenn seine Kleidung nass wird und wir reden nicht von pitschnass, wir reden von kleinsten Tropfen oder einem Klecks beim Essen. Er kann die Sachen dann nicht mehr anbehalten und reißt sich diese förmlich vom Körper.

Wir haben uns ja langsam an den Anblick gewohnt und nehmen es so hin, statt 100 mal am Tag, ziehen wir ihn jetzt nur noch 10 mal am Tag an. Komischerweise beim Ausziehen kommen wir nur auf maximal 2 mal, morgens Schlafanzug aus und abends vielleicht die Tageskleidung. Selbst im Kindergarten hat er schon angefangen sich auszuziehen. Nachdem sie dachten, dass ihm vielleicht auch einfach heiß ist, haben wir uns darauf geeinigt, dass er ein T-Shirt drunter an hat und seinen Pulli ausziehen kann und er darf, dank Fußbodenheizung, barfuß rumlaufen.

Einmal waren wir bei meiner Schwester zu Besuch, es war unter der Woche und wir kamen direkt nach dem Kindergarten zu ihr zum Mittagessen. Philipp hatte keinen Bedarf zu essen und war direkt unten im Keller zum Spielen. Ich saß noch am Tisch, hab gegessen und mich mit meiner Schwester unterhalten. Da kam eine meiner Nichten und meinte: "Du Tante, der Philipp hat sich schon wieder ausgezogen." Ich sagte ihr, dass ich noch schnell fertig essen würde und dann komme. Zwischenzeitlich klingelte es aber an der Haustür und meine Schwester lies den Kaminkehrer herein, der wohin musste ... in den Keller. "Wundern sie sich nicht, da unten rennt ein nackter Junge herum." Ich fetzte schon die Treppe runter und hörte den Kaminkehrer nur lachen: "Ach was glauben sie, wie die Leute mir teilweise die Tür aufmachen."

Solche Geschichten erlebt man halt immer wieder mit Philipp. Wer uns und ihn kennt, ist nicht weiter überrascht, aber den ein oder anderen verdatterten Gesichtsausdruck haben wir schon erlebt und manchmal müssen wir mehr über die Reaktionen lachen, als uns über die peinliche Situation schämen.

Mit ihm zusammen neue Kleidung kaufen, bringt absolut gar nichts. Alles was ich ihm zeige, möchte er nicht haben. Anprobieren schon gar nicht. Selbst zuhause zieht er neue Sachen nicht an, solange das Preisetikett noch daran ist. Heißt also, ich muss immer nach Augenmaß kaufen. Es muss dann erst gewaschen in seinem Schrank liegen und wenn ich es dann raushole, dann gehört es zu ihm und er zieht es an. Er sollte einmal in seinem früheren Kindergarten für ein Theaterstück ein Skelett-Kostüm anziehen. Er wollte es absolut nicht anziehen. Ich nahm das Kostüm also mit nach Hause, hab es in seinen Schrank gelegt und holte es am Morgen als die Aufführung war in seinem Beisein heraus und zog es ihm an, als wären es ganz normale Klamotten von ihm.

Das einzige was einigermaßen geht, sind Schuhe. Bei Schuhen ist er relativ flexibel, welche er da trägt. Wobei ich auch hier schon mit einem tobenden und schreienden Philipp vor dem Schuhgeschäft stand, weil er sich keine neuen Schuhe kaufen wollte. Nachdem seine Turnschuhe aber nun mal über den Winter zu klein geworden sind und noch dazu der große Zeh beinahe vorne rausschaute, mussten einfach neue Turnschuhe sein. Turnschuhe im Sommer hatte er ganz lange ein und das selbe Modell an und wollte auch keine anderen. Erst als ich diese dann in einem anderen Schuhladen gefunden hatte, war die Welt wieder in Ordnung und ich durfte die alten Schuhe wegschmeißen. Mittlerweile gibt es das Modell gar nicht mehr in seiner Größe und seltsamerweise konnte er völlig ohne Probleme sich mit anderen Turnschuhen anfreunden.

Manchmal ist es Jacke wie Hose, aber manchmal ist es eben auch die Winterjacke, die nicht das selbe ist, selbst wenn es die getragene Jacke vom Vorjahr ist.

Wenn ihr länger nichts von uns hört, dann hab ich entweder andere Projekte am Laufen oder die Jungs halten mich wieder mal mächtig auf Trab, allen voran natürlich Philipp. Da ich mein winterliches Hobby, das Stricken, bereits wieder an die "Nadel" gehängt habe, nachdem die ganze Familie mit flauschigen neuen Schals versorgt ist und ich weitere gestrickte Neuanschaffungen gerne in Omas Hände gegeben habe, sieht es momentan eher so aus, dass mich die Jungs in der letzten Woche in den Wahnsinn getrieben haben. Ein Monster krank, aber nicht so krank um nicht zu streiten und Unordnung zu machen und das große Monster gerade auf Pfaden seines verborgenen Ichs unterwegs, das uns hier alle tyrannisieren möchte.

Ein Teil der Verwüstung nach Philipps Wutausbruch
Ein Teil der Verwüstung nach Philipps Wutausbruch

Unser kleiner süßer Florian, der Sonnenschein in der Familie, mit seinen großen blauen Augen und einem engelsgleichen Augenaufschlag, macht gerade eine Metamorphose der besonderen Art durch. Mit dem Austesten wie viel Macht wohl in einem "Nein" oder "Will nicht" liegt, versucht er gerade seinen Kleinkinderschuhen zu entwachsen. Der kleine Mann wird groß und mischt hier gerade unsere Familie wieder richtig auf. Auch Philipp bleibt davon nicht unberührt, denn auch an ihm versucht er sich natürlich zu messen. Doch sein großer Bruder macht da kurzen Prozess mit ihm und somit steht schreien, hauen, zwicken, beißen, kratzen und das wildeste Gekreische und Geheule auf unserer Tagesordnung. Ein Traum, der morgens um halb 6 beginnt und abends kurz bevor wir selber auch einschlafen endet. Noch nie hab ich meinen Mann mehr um seine 10 Stunden Arbeit beneidet.

Philipp selbst hat gerade auch wieder mal einen Punkt erreicht, wo er sein "verborgenes Ich" wieder zu Tage holt. Nachdem es jetzt so lange super geklappt hatte mit ihm und wir dachten, er sei auf dem besten Wege, hat man in letzter Zeit doch gemerkt, der Vulkan brodelt noch. Einzelne Tage, wo dieser schon mal etwas Lava spuckte, aber noch kein Grund zur Evakuierung war, ließen die Gefahr erahnen, auf die wir uns zubewegten. Und wenn wir gerade beim Thema spucken sind, eine neue Eigenart, die sich unser Philipp zugelegt hat. Zum ersten mal hat er sich dieser Waffe seinen Unmut kund zu tun, ausgerechnet bei der neuen Frühförderin, bedient. Peinlich, peinlich. Mein Mann stand ihm am nächsten und hat ihn gleich geschimpft. Ich war ein wenig sprachlos. Spucken ist für mich absolut respektlos und nicht akzeptabel. Die Frühförderstunde lief dann dank Knete noch recht gut. Anschließend hieß es zum Hörgeräteakustiker fahren, seinem Ohrpassstück einen neuen Schlauch einsetzen lassen, da er diesen in einem Wutanfall im Kindergarten auseinandergerissen hatte. Weitere kleine Anzeichen für einen baldigen Ausbruch folgten.

Schließlich folgte Tage später der Super-Gau. Philipp steht ja zumeist lange bevor unser Wecker klingelt auf und sein erster Gang ist direkt nach unten ins Wohnzimmer. Um was zu tun? - Tablet spielen. Jetzt kam es aber, dass an diesem einen Morgen das gute Stück nicht aufgeladen war und das Ladekabel nicht da lag, wo es normal liegt. Ich komm runter, mach die Tür zum Wohnzimmer auf und sehe gerade noch, wie ein Tablet, begleitet von einem wütenden Schrei, quer durchs Zimmer flog. Dass das Tablet einen derartigen Freiflug nicht unbeschadet überlebt, muss ich euch wahrscheinlich nicht erklären, Philipp war das hingegen wieder mal nicht bewusst. Da es früh am Morgen war und er bis sein geliebter Bus kommt, sowieso eineinhalb Stunden bald alleine mit Frühstücken und Anziehen beschäftigt ist, war die Konsequenz aus seinem Handeln auch erst mal nicht weiter wichtig für ihn. Da wir ja nach unzähligen zerstörten Tablets mittlerweile schlauer geworden sind, haben wir ja dieses mal beim Kauf eine Versicherung abgeschlossen. Also haben Flo und ich das Ding vormittags dann weggebracht. Schocknachricht: Die Reparatur bzw. die Bearbeitung, ob wir dann ein neues bekommen, würde bis zu 4 Wochen dauern. Oha, das wird spaßig, dachte ich mir.

Und ja, es wurde spaßig. Philipp kam mittags nach Hause und da war es weg. Ein fast eineinhalbstündiger Wutanfall, mit Sachen schmeißen, einem kaputten Puppenhaus, einem Florian, der Angst hatte und vielen Tränen bei Philipp waren die Folge. Ich konnte gar nicht so schnell die Sachen in Sicherheit bringen, wie Philipp durchs Zimmer wütete und alles mit sich riss, was er zu fassen bekam. Selbst unseren zwei Meter langen Esszimmertisch hat er fast umgeworfen. Eine zwischenzeitliche Verschnaufspause, bei der er auf meinem Schoß saß und sich an mich schmiegte, endete mit dem Versuch mich ins Schlüsselbein zu beißen, als seine Wut erneut aufflammte. Es endete schließlich damit, dass mein Mann sagte, hol irgendein günstiges Tablet für den Übergang, bevor er noch mehr Sachen kaputt macht.

Da war sie wieder, diese verdammte Ohnmacht, die uns zur Inkonsequenz treibt. Hat er kein Recht darauf, ein neues Tablet zu bekommen? Gar keine Frage, hat er nicht. Aber WIR! 

Wir haben dieses Recht dazu. Wir müssen uns in vielerlei Hinsicht im Alltag so einschränken, Spontanität ist oft nicht möglich, oder man bekommt später die Quittung dafür, der ganze Tag durchstrukturiert, wenig Schlaf und immer darauf gefasst sein, was als nächstes kommt. Wir sind auch nur Menschen und genießen die Ruhe, die wir gelegentlich haben. Und wenn dazu zählt, dass Philipp mittags nach dem Kiga Tablet spielt, während sein Bruder Mittagsschlaf hält, dann ist das so. Ja, ich weiß, es hört sich nach einer Mutter an, die verzweifelt eine Ausrede sucht, für den nicht angebrachten Medienkonsum ihres Kindes. Wir sind auch froh, wenn er das Teil nicht dauernd in den Händen hat und es gab Phasen, da war es wirklich ein Kampf ihn davon weg zu bekommen. Jetzt ist es so, dass er seine Zeit hat, wo er damit spielt und dann aber auch wieder andere Beschäftigungen sucht.

Aber bei allen Entschuldigungen für unsere Inkonsequenz bleibt eine Tatsache bestehen, unser kleiner Terrorzwerg war wieder da, wenn auch nur für einen Moment. Er kam, schmiss und siegte. Wieder mal. Wieder ergoss sich eine derartige Woge der Wut über ihn, dass er völlig unkontrolliert alles um sich herum zu zerstören versuchte. Das geht nicht spurlos vorüber. Während er, mit dem Versprechen, dass am nächsten Tag sein Tablet da ist, mit meinem Handy spielen durfte und mir ganz viele Küsschen gab und ich viele "Mamas" zur Aufforderung bei ihm zuzuschauen zu hören bekam, war ich müde. Müde vom Tag, müde von diesem Emotionsausbruch. Und während ich ihn so anschaute und seine Freude sah und seine Liebe bei jeder Umarmung spürte, kamen mir doch wieder Stimmen in den Kopf. Sätze, die ich zu hören bekam "Philipp hat Macht über dich" "Wenn er mal groß wird, dann werden sie nicht mehr gegen ihn ankommen". Sätze, die mich, als sie gesagt wurden, wütend gemacht bzw. geschockt haben. Sätze, die mich aber nicht loslassen und die insgeheim eine Angst in mir geschürt haben. 

Strategien zur Erziehung überdenken, Lösungen suchen, mein Kind lieben. Die Angst soll mich nicht im Griff haben, immer mit dem Gedanken, dass die Liebe, die mir Philipp entgegenbringt, so aufrichtig und ehrlich ist, wie die Wut, die in ihm brodelt und ab und dann ausbricht. Er wird älter und verständiger und immer öfter gelingt es diese Wut umzulenken, manchmal aber eben nicht. Damit leben und lieben wir.

Ich bin ja jemand, der nicht müde wird immerfort dafür zu kämpfen, dass die Menschen unseren Philipp verstehen. Verstehen und tolerieren. Ich möchte, dass Philipp in unserer Familie akzeptiert wird, in unserem Umfeld und ich hoffe, dass wir die Öffentlichkeit einfach aufmerksamer machen. Ich rede über Philipp, gewünscht oder nicht, und ich schreibe all diese Beiträge, in der Hoffnung ein wenig Einfluss auf das Bewusstsein der Gesellschaft zu nehmen. Mein Fokus, aufzuklären für mehr Toleranz, richtete sich bisher vor allem an Nicht-Betroffene. Ich dachte, dort muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Aber ist das alles?

Immer wieder stoße ich in einigen Gruppen auf Feindseligkeiten untereinander. Oftmals kein Verständnis. Typisches "Ich kann nicht über meinen Tellerrand schauen"-Verhalten. Eltern, die neu in der Thematik sind und im Netz auf Themen wie "Autismus als Impfschaden" oder "Autismus heilen durch Nahrungsumstellung" aufmerksam werden und dann den katastrophalen Fehler machen, in den Gruppen nach Infos darüber zu fragen. Wenn jemand schon schreibt "Hallo, ich bin neu ...", kann man dann nicht einfach freundlich antworten, anstatt jemanden gleich fertig zu machen? Ich halte auch absolut nichts von so manch fragwürdigen Theorien und denke, manche sind sogar gefährlich. Aber die Eltern, die nachfragen, können nichts für das, was von anderen verbreitet wurde.

Noch mehr erstaunt und ja verärgert es mich, wie teils mit Autisten in den Gruppen umgegangen wird. Was nicht verstanden wird, toleriert man nicht. Es gibt jugendliche und erwachsene Autisten, die einfach keine behutsame Kindheit erleben durften, die nicht mit viel Liebe und Geduld der Eltern ihren Kokon verlassen konnten. Junge Autisten, die so viel Zurückweisung, Demütigungen und psychische Gewalt erleben mussten. Die Folgen sind Wut, Frustration bis hin zu Kriminalität. Jetzt ist das sicherlich nicht ein Teil des Autismus. Aber es ist ein Problem, das jedes unserer Kinder ereilen kann. 

Sollen wir sie dann alle aufgeben? Wir würden doch unser eigenes Kind auch unterstützen, wo wir nur können und würden uns auch wünschen, dass sie in der Gesellschaft helfende Hände finden.

Aber selbst innerhalb "unserer Gemeinschaft besonderer Eltern" geht das Verständnis oft nicht über das fürs eigene Kind hinaus. "Wenn das Kind schlägt, beißt und mein Kind Angst hat, dann kann das doch nicht auf diese Schule gehen." Aggressionen sind nicht erwünscht, völlig klar. Und vor allem möchten keine Eltern, dass das eigene Kind aggressivem Verhalten ausgesetzt ist. Dabei urteilen wir aber doch ein bisschen schnell.

Der elterliche Instinkt die eigenen Kinder zu schützen, steht da der Toleranz im Weg. Aber wie können wir vollkommene Akzeptanz für unsere besonderen Schützlinge erwarten, wenn wir selbst nicht zu uneingeschränkter Toleranz in der Lage sind?

Ich erzähle über Philipp, entschuldige ihn nicht, aber erkläre täglich sein Verhalten und hoffe, dass er und wir verstanden werden. Und genau das gebe ich zurück.

Verständnis.

Verständnis nicht nur für mein Kind.

Verständnis für jede Besonderheit des Lebens.

Was ist das eigentlich? Was bedeutet es, wenn unsere besonderen Kinder in einen Integrativkindergarten gehen? Was ist gemeint, wenn man von Inklusion redet? Funktioniert es denn? Oder ist alles etwa nur eine Illusion? Die UN-Behindertenrechtskonvention, zu der sich Deutschland und viele weitere Länder bereit erklärt haben, setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderung nicht länger benachteiligt werden und als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert werden. Aber wie sieht das denn wirklich aus?

Ehrlich gesagt, ich habe Integration lange falsch verstanden. Für mich muss ich sagen, ist Integration zu einer Illusion geworden. An und für sich, wenn man jetzt einfach nur die Definition von Integration anschaut, bedeutet es das Einbeziehen bzw. die Eingliederung in ein größeres Ganzes. Minderheiten, wie behinderte Menschen, werden als Teil der Gesellschaft eingegliedert. Dabei muss sich aber die Minderheit der Mehrheit anpassen. Und das ist wohl der springende Punkt, warum das Modell der Integration an Kindergärten und Schulen oft nicht funktioniert. Habe ich jetzt ein Kind, das vielleicht körperliche Beeinträchtigungen hat, wird eine Einbeziehung in die Gruppe reibungslos funktionieren. Da bin ich mir ganz sicher. Habe ich aber ein Kind, das geistig behindert ist, Probleme in seiner sozialen Interaktion hat, das gern beschriebene verhaltensauffällige Kind, dann stoßen die Versuche dieses Kind zu integrieren an unüberwindbare Grenzen. So viel zur Barrierefreiheit.

Unsere Kinder können sich nicht anpassen. Trotzdem wird es verlangt. Willst du Teil der Gruppe sein, dann sei wie die Gruppe. Unsere Kinder sollen eine Anpassungsleistung erbringen, die sie aber nicht leisten können. Während Personen, die deutlich flexibler in ihrem Handeln sind, starr ihre Position beibehalten. Und dann wird schnell aus einem integrativen Kindergarten- oder Schulplatz eine Exklusion oder gar Separation. Wie viele unserer Kinder finden denn wirklich Anschluss in einer Gruppe? Finden Freunde, Kinder, die sie so akzeptieren, wie sie sind. Viele, so lese ich das ja auch in den unzähligen Foren, werden doch eher ausgeschlossen. Viele Erzieher und Lehrer sind zwar sicherlich bemüht den Kindern Akzeptanz und Toleranz beizubringen. Letzten Endes lassen sich aber Freundschaften nicht erzwingen. Die meisten Kinder werden doch leider nicht aufgeschlossen genug erzogen, als dass sie wirklich über die Besonderheiten hinwegsehen können und ihr Gegenüber, egal in welcher Form, als gleichwertig sehen.

Ein Problem, das sich durch die gesamte Gesellschaft zieht, bewertet zu werden nach dem, was wir im Stande sind zu leisten und nicht danach, was wir sind - MENSCHEN.

Philipp war fast drei Jahre in einer integrativen Gruppe und wir mussten schließlich feststellen, dass es nicht funktioniert. Lassen wir jetzt mal fachliche Kompetenz und Fördermöglichkeiten außen vor. Sind Regelkindergärten oder -schulen denn überhaupt in der Lage, diese besonderen Kinder aufzufangen? Versuchen tun sie es. Aber ist es Integration? Meiner Meinung nach, nein. Sofern die Kinder sich einigermaßen an den Gruppenalltag anpassen können, passt alles. Aber wie ja schon gesagt, sie können es ja kaum bis gar nicht. Eigens für diese Kinder eingestellte Heilpädagogen/-innen und Heilerziehungspfleger/-innen sind verantwortlich dafür, dass die Kinder in der Gruppe funktionieren und eigene Fördermaßnahmen erhalten. Oft ist es dann aber so, dass der normale Gruppenalltag alles überdeckt. Im Sinne der Integration, wird individuelle Förderung gerne hinten angestellt, um an gemeinsamen Gruppenprojekten teilzuhaben.

Individualität ist sicherlich gewollt. Nur es führt dazu, dass sich trotzdem zwei Gruppen bilden. Die normalen Kinder und die Besonderen. Eine "Sonderbehandlung" geht auch nur so weit, als dass sie nicht den Gruppenablauf an und für sich stört. Ob ein besonderes Kind daran teilnehmen kann oder nicht, wird nicht berücksichtigt. Es erfolgt ja nur eine einseitige Anpassung. Sicherheit bietet dann nicht eine feste Struktur, die verlässlich für alle Kinder zutrifft und immer greift, sondern das zuständige Personal für die besondere Gruppe oder auch eine, nur für ein einzelnes Kind, zuständige Individualbegleitung. Fällt eine dieser Personen aus, fällt das ganze Konstrukt zusammen. Was dem Kind Sicherheit gab, ist nicht mehr gegeben und nichts funktioniert mehr. Manche Kindergärten und Schulen lassen ein Kind ohne seinen Individualbegleiter beispielsweise gar nicht erst den Unterricht oder den Kindergarten besuchen.

Dies ist keine Integration. Dies nennt man Separation. Eine Gruppe oder auch einzelne Kinder können Teil des Systems sein, sofern sie eine separate Betreuung haben. Ich schreibe es jetzt einfach mal einem Mangel an Räumlichkeiten zu, dass diese besondere Gruppe in einem Raum mit den normalen Kindern ist. Natürlich ist es nicht so. Integration ist schon das angestrebte Ziel. Aber entweder, weiß man nicht richtig, wie es umgesetzt werden soll oder es ist einfach nicht das richtige Konzept.

Wir Eltern wünschen uns, dass unsere Kinder voll und ganz akzeptiert werden und Teil der Gesellschaft sind, ohne wenn und aber. Wir bereiten sie aufs Leben vor, wir lassen ihnen alle Fördermöglichkeiten zukommen, damit sie über ihre Einschränkungen vielleicht hinwegkommen und sich anpassen können. Einfügen ins gesellschaftliche Bild. Alles was wir erwarten, sind ausgestreckte Hände und die Bereitschaft sie, so wie sie sind, willkommen zu heißen. Den Willen zu haben, dass man unsere Kinder als wunderbare Menschen erkennt, die man gerne in seinem Leben haben möchte. Das, was wir möchten, ist das, was die UN-Behindertenrechtskonvention fordert - INKLUSION.

Deutschland hat ebenfalls, wie sehr viele andere Länder, der Konvention zugestimmt. Aber wird seither wirklich so viel getan? Ändert ein Vertrag etwas an der Einstellung der gesamten Bevölkerung?

Demgegenüber steht die Realität.

Ausschluss aus Kindergärten und Schulen, was definitiv gegen Artikel 24 der Konvention verstoßt. Kinder dürfen nicht aufgrund ihrer Behinderung aus dem Bildungssystem ausgeschlossen werden.

Gesetze werden verabschiedet, die beispielsweise Trisomie-Tests zu Kassenleistungen machen. Wie viele lachende Gesichter werden dadurch nie das Licht der Welt erblicken?

Erzieher- und Lehrermangel führt dazu, dass die Betreuung teils nicht mehr abgedeckt werden kann. Und dann soll man in einer völlig überlasteten Situation auch noch Einfühlungsvermögen für ein besonderes Kind aufbringen.

Menschen zeigen immer noch unverhohlen ihre abschätzende Meinung. Kopfschüttler und Augenrollen ist da noch die harmloseste Methode. "Wenn ich so ein Kind hätte, würde ich mir die Kugel geben.", hatten wir auch schon mal gehört.

Egoismus, Leistungsdruck, Materialismus, eine Wertvorstellung, die nichts mehr mit Nächstenliebe zu tun, lässt keinen Platz für Minderheiten übrig. Vorstellungen vom Leben mit denen unsere Kinder so gar nichts zu tun haben.

Ich halte den Begriff, trotz kleiner Erfolge, Inklusion noch für utopisch. Eine Wunschvorstellung, die wir Eltern für unsere Kinder haben, die sich aber noch lange nicht realisieren wird.

Integration alleine funktioniert nicht und Inklusion bleibt wohl erstmals eine Illusion, der wir uns gerne hingeben. Ein Traum, der uns vorgaukelt, dass unsere Kinder trotz Handicap gleichwertig in der Gesellschaft leben können.

 

 

 

 

Wie oft stehen wir ratlos vor unseren Kindern. Manchmal scheint es wie aus dem Nichts zu kommen. Gerade war noch völlige Ruhe und plötzlich wird gebrüllt und um sich geschlagen. Die einen beißen, kratzen und spucken, andere richten ihre Aggression gegen sich selbst oder im Umfeld befindliche Personen werden beleidigt. Doch dies ist nicht etwa eine gewollte Handlung unserer Kinder, oder ein einfacher Wutausbruch. Vielmehr ist es das Resultat einer maßlosen Überforderung. Eine Überforderung aufgrund der mangelnden Fähigkeit Reize zu filtern. Für uns als Eltern oder auch Betreuer von Autisten ist es wichtig zu erkennen, wann denn das Kind auf einen Overload (Reizüberflutung, Überladung) zusteuert. Das gibt uns Zeit zu reagieren und unsere Kinder vor dem völligen Chaos zu bewahren.

Wie ich bereits in meinem früheren Beitrag "Stress erkennen, Stress vermeiden" beschrieb, ist es wichtig zu erkennen, was unsere Kinder überfordert. Das ist von Kind zu Kind sehr individuell. Da aber Autisten Reize kaum bis gar nicht filtern können, prasselt alles mögliche auf sie ein und ist sicherlich der Hauptgrund für einen Overload. Geräusche, Gerüche, visuelle Eindrücke, Personen um sie herum, ein ständiger Input, der sich zu einem Einheitsbrei vermischt. Aber eben auch Stressauslöser können zu einer Überlastung führen. Sind etwa Anforderungen falsch gestellt, fühlt sich das Kind unter Druck,  Ärger in der Schule, eine Vertretung in der Betreuung, können unsere Kinder überfordern. Auch eine Überforderung durch aufgestaute Gefühle (oftmals eine Folge der Anpassung in der Gesellschaft) können zum Overload führen.

Unser Philipp kam ganz oft vom Kindergarten nach Hause und hatte sich direkt in seinem Zimmer verkrochen. Er nahm dort seine Hörgeräte raus, zog sich komplett aus und versteckte sich mit sämtlichen Decken und Kissen in seinem Kleiderschrank. Oft legte er sich die Regalböden noch auf sich drauf. Anfänglich waren wir doch sehr verwundert über sein Verhalten, bis wir dann verstanden hatten, wozu ihm das dient. Wir hatten dann schließlich den mittleren Teil seiner drei Schränke gar nicht mehr eingeräumt, sondern ihm seine "Höhle" als Rückzugsort gelassen. Bis jetzt nimmt er seinen Schrank immer wieder her um sich zurückzuziehen. Auch, wenn wir nicht zuhause sind, können wir bei Philipp immer wieder beobachten, dass er sich verkriecht, weg von allen Reizen. Wir lassen ihn und schauen dann, dass wir ihn bald möglichst komplett aus der Situation holen und nach Hause fahren.

Philipp hat für sich eine Strategie entwickelt, dem Overload zu entkommen. RÜCKZUG! Ein entrinnen aus der Situation, räumlich, akustisch, visuell.

Eine weitere Möglichkeit sind sogenannte repetitive/stereotype Verhaltensweisen, die oft stimulierend wirken, aber während eines Overloads auch Beruhigung bringen können. Gleich bleibende Handlungen werden immer und immer wiederholt. Das können Bewegungen mit dem Körper sein, beispielsweise das Hin- und Herwippen mit dem Oberkörper. Bei Philipp können wir oft beobachten, dass er beim Laufen in großen Menschenmengen die Pflastersteine anfasst, er geht dann gerne nur auf den Fersen oder achtet darauf, dass sein Fuß immer genau in einem Pflasterstein auftritt. Er macht dann vermehrt Geräusche oder fährt mit seinen imaginären Aufzügen. All das dient dazu, sich auf diese eine Handlung voll und ganz zu konzentrieren um so den Einflüssen, den Reizen von Außen zu entkommen. In dieser Situation sollte man sein Kind unbedingt nicht in dieser Handlung unterbrechen, aber dafür sorgen, dass sich die Situation grundlegend ändert.

Gibt es kein Entkommen aus dem Overload, funktionieren alle Strategien nicht, so kommt es zum sogenannten Meltdown (Kernschmelze). Ein nicht mehr steuerbarer Zustand für das Kind.

Das Kind erlebt einen völligen Kontrollverlust über sich selbst und Eltern sehen sich einem vermeintlichen Wutausbruch gegenüber. Aber es ist keinesfalls Wut, die unsere Kinder in diesem Moment um sich schlagen, Sachen zerstören oder sich selbst verletzen lässt. Es ist pure Verzweiflung darüber, die Kontrolle über sich selbst verloren zu haben. Ich kann an dieser Stelle wieder mal nur auf den Autor Bo Hejlskov Elvén hinweisen, der immer wieder die Notwendigkeit beschreibt, dass die Kinder stets die Selbstkontrolle über sich behalten bzw. wiedergewinnen müssen.

Diese völlige Entgleitung, den Meltdown, konnten wir in der Vergangenheit bei Philipp auch nicht immer aufhalten. Und wir sind dann oft machtlos dieser Explosion gegenüber gestanden. Mittlerweile deuten wir die Zeichen, erkennen, wenn die "Stimmung" quasi kippt. Manchmal sind es Sekunden, die uns bleiben um das Ruder rumzureißen. Manchmal ist es auch zu spät. Wir schauen, dass er dann nichts zum Werfen erwischt, Gläser, Teller, zerbrechliche Sachen werden aus seiner unmittelbaren Umgebung weggenommen, wir geben ihm Raum, damit er uns nicht verletzen kann und achten darauf, dass er sich selbst nicht weh tut. Es macht absolut keinen Sinn in diesem Moment auf ihn einzureden, denn das kommt absolut nicht bei ihm an. Er lässt sich in dieser Situation auch nicht anfassen oder gar festhalten, was wohl auf sehr viele Autisten zutrifft, denn das wäre nur wieder ein zusätzlicher Reiz. Wir bleiben in der Nähe, aber lassen ihn in Ruhe und erst wenn er sich beruhigt, suchen wir den Kontakt, sprechen ihn an oder schauen, ob er in den Arm genommen werden möchte.

Reize "abschotten", die Situation verändern, Raum geben, um die Selbstkontrolle wieder zu erlangen. Wir sind dabei eher passive Zuschauer, hilflos, so kommt es uns vor. Aber genau das ist es, was am Ende die Sicherheit zurückbringt.

Manchmal kann ein Overload nicht nur zu einem Meltdown führen, sondern einen Shutdown (Abschalten, Herunterfahren) herbeiführen. Ein Meltdown kann diesem vorausgehen, muss aber nicht. Die Reizüberflutung oder die Überforderung sind für das Kind unüberwindbar, ein Entkommen ist nicht möglich, gelernte Strategien zur Beruhigung helfen nicht oder können vielleicht nicht angewandt werden. Die Folge, SYSTEMABSTURZ. Da eine "realer" Rückzug nicht möglich ist, schalten sich Kinder quasi ab und wirken regelrecht abwesend, nicht mehr da.

Wir haben bei unserem Philipp noch keinen Shutdown erlebt, wenngleich auch länger anhaltender Stress bei Philipp schon zu ähnlichen, depressiven Phasen geführt hat. Ein völliger Rückzug aus der Welt und kaum noch ansprechbar.

Während eines Shutdowns ist es einfach wichtig, da zu sein. Darauf achten, dass so wenig Reize wie möglich auf das Kind einwirken. Nur, wenn das Kind die Nähe der Eltern sucht, sollte man darauf eingehen. Ungewollte Berührungen, seien sie noch so behutsam oder gar gewaltsames Festhalten, wären in diesem Moment (wie auch schon während eines Meltdowns) zusätzlicher Stress und kontraproduktiv.

Wir lernen alle mit unseren Kindern. Wir können nicht immer alles vorhersehen und planen. Jedoch helfen Strukturen im Alltag und Klarheit im Umgang mit unseren Kindern dabei, Overloads und die Folgen zu vermeiden. Jetzt können wir unsere Kinder nicht in Watte packen, können nicht alle Reize und Stress von ihnen fernhalten. Die moderne Welt ist eine reizüberflutete Umgebung. Autolärm, Fernsehen, Radio, beim Nachbarn der Rasenmäher .... Die Welt ist lauter, bunter, heller. In völliger Reizlosigkeit werden unsere Kinder nicht leben, aber mit genügend Pausen und Ruhezonen, die reizarm gestaltet sind, kann man die Häufigkeit der Overloads dezimieren.

Die Situationen analysieren, Auslöser erkennen, Strategien entwickeln.

So beenden wir unsere eigene Hilflosigkeit und die unserer Kinder. Die Möglichkeit zum Handeln ist da, wenn wir unsere Kinder verstehen.

 

Gar keine Frage. Welches Kind ist denn bitte nicht besonders? Und dann noch dazu das erste Baby. Alles ist neu und aufregend. Vieles hat man schon von Freunden oder in der Familie gesehen, wenn Nachwuchs da war. Aber es dann selbst zu erleben, ist doch noch mal eine Erfahrung der ganz besonderen Art. So ging es uns auch mit unserem Philipp. Allerdings sorgte er doch immer wieder für eine Überraschung, die uns doch schmunzeln ließ oder auch schon mal verzweifeln. Zu diesem Zeitpunkt waren wir aber weit davon entfernt, daran zu denken, dass irgendetwas bei ihm anders wäre. Er war halt einfach besonders. Besonders anders. Viele unserer Beobachtungen, ließen uns erst mit der Zeit und im Nachhinein zu der Überlegung kommen, dass da einfach noch mehr ist.

Philipp war ein sehr ruhiges und ausgeglichenes Baby. Sofern wir alleine waren. Sobald sich etwas daran änderte, war er nervös und weinte. Es fing an, dass er absolut nicht gestillt werden konnte, sobald beispielsweise mein Vater zu uns rüber kam. Wenn es ums Stillen ging, war es nicht grundsätzlich kompliziert mit ihm, er trank gut und alles hatte prima geklappt. Allerdings hatte er dann mit ungefähr zwei Monaten das Stillen komplett verweigert. Wir vermuten, natürlich jetzt im Nachhinein, dass die Anwesenheit seiner Cousinen, die damals für einige Tage bei uns waren, ihn durcheinander gebracht haben. Auch mit der Flasche war er kaum zu füttern, Milch schien für ihn absolut kein Hochgenuss zu sein. Bisschen besser wurde es, als er dann bereits mit drei Monaten feste Nahrung bekam. Milch hatte er dann mit etwa neun Monaten komplett verweigert und hatte erst vor etwa zwei Jahren wieder angefangen Milch zu trinken.

Von seinem Trink- und Essverhalten mal abgesehen, war eines schnell klar. Philipp war total überfordert, wenn Besuch bei uns war und noch schlimmer, wenn irgendwelche Feiern waren. Wir sind eine große Familie und bei uns ist immer viel los, auch im Alltag ist immer etwas geboten. Also er war bestimmt nicht sensibilisiert und war dann geschockt, wenn plötzlich Trubel ausbrach. Aber egal, was auch für eine Feier war, Philipp weinte und weinte. Er ließ sich nicht beruhigen. Er schwitzte sehr schnell. Darum war das erste, was wir immer machten, ihm etwas auszuziehen. Ein Baby, im Winter, das im Haus nur im leichten Body war, weil alles andere zu heiß war und das obwohl man nur mäßig einheizte. Bloß keinen Fußsack in der Maxicosi oder im Kinderwagen... Naja, das Ausziehen half jedenfalls, wenn auch nur kurz, weiter. Meist ließ er sich aber absolut nicht beruhigen. Wenn nicht oft die Tante mit ihren bunten Tüchern und ihrer ruhigen Art, die sie als erfahrene Mama mitbrachte, für Ablenkung gesorgt hätte, wäre für uns so manche Feier schon nach kurzer Zeit vorbei gewesen. Unser erstes gemeinsames Weihnachten, mit Besuch von den Großeltern, verbrachte ich noch vor der Bescherung mit Philipp im Schlafzimmer, weil er nicht mehr aufhörte zu schreien. Das selbe  an Silvester. Seine Taufe, eine einzige Katastrophe, ab Kaffee und Kuchen ging nichts mehr. Alle Versuche ihn zu beruhigen waren vergebens. Wir hatten es damals einfach als relativ normal gesehen, da ja viele Babys anfängliche Anpassungsschwierigkeiten haben. Und als ja dann die Diagnose mit der Schwerhörigkeit kam, hatten wir, so dachte man, eine Erklärung. Sein Verhalten, wie er sich auf Familienfeiern und größeren Menschenaufläufen benimmt, hat sich einfach bis jetzt nicht geändert. Jetzt weint er halt nicht mehr, sondern verkriecht sich dann irgendwo. Sind wir draußen unterwegs und es sind viele Menschen um uns rum, auf Märkten oder so, dann konzentriert er sich auf die Pflastersteine, schaut entweder konsequent, dass der Fuß genau auf einen Stein tritt oder bückt sich alle paar Schritte und muss die Steine anfassen.

Philipp wuchs heran und irgendwie war er in allem einfach langsamer. Wir machten uns keinen Stress deshalb. Jedes Kind hat seine eigene Geschwindigkeit. Und irgendwie war er auch immer so mit ach und krach innerhalb der "Norm". Der Kinderarzt war zufrieden.

Die Abweichung, dass er sich nicht ganz altersgemäß entwickelte, wurde erst später immer deutlicher. Angefangen alleine beim laufen lernen, das er erst mit etwa 21 Monaten konnte. Dann entwickelte er Eigenarten, die uns manchmal in Erstaunen setzten und die auch manchmal lustig waren. Spielen war irgendwie nie so sein Ding. Mama, die am Boden saß, um mit ihm etwas zu spielen, wurde gänzlich ignoriert. Wenn er sich denn schon mal mit etwas zum Spielen beschäftigte, durfte man ihn nicht stören. Er ist dann auch schon einfach mal weg oder hat einem zumindest den Rücken zugedreht. Wir haben das nicht verstanden. So ein Verhalten kannten wir absolut nicht. Und auch, wenn wir natürlich immer den Kontakt zu Philipp suchten, egal auf welche Art und Weise, ob es im Spiel, in der Kommunikation oder mit Kuscheln war, so war es schon ein Stück weit frustrierend, dass von ihm einfach so wenig bis gar nichts zurückkam. Irgendwann fing er dann an, dass er im ganzen Raum Bücher aufgestellt hatte. Jedes wurde ganz lange ausgerichtet. Fiel eines um, dann wurde es wieder genauso aufgestellt. Passierte dies mehrmals, dann war eine Krise vorprogrammiert. Keines durfte verrutscht oder weggenommen werden. Anfänglich fanden wir es etwas lustig, bis wir dann eben den Verdacht auf Autismus hatten.

Viele der Dinge, die er machte, passten einfach.

Er machte aus seinem Käse beispielsweise winzige kleine Stückchen und klebte diese an die Wand. Ja, an die Wand. Und nein, wir fanden es natürlich nicht lustig, wenngleich wir auch beim ersten mal mehr als verwundert waren. Wir hatten ihm jedes mal gesagt, dass er das nicht machen darf. Aber er machte es immerfort. Wir nahmen den Käse wieder ab, er bekam eine Krise, beim nächsten Essen mit Käse, machte er es wieder. Er malte winzige Bilder an die Wand und saß dann wirklich geraume Zeit davor, befühlte sie wieder und schaute sie intensiv an. Da wir ohnehin bald Streichen wollten, drückten wir da ein Auge zu. Irgendwie schien es ihn zu beruhigen. Er war dabei fast wie in Trance.  Auffällig war auch, sein Interesse an Licht. Damit meine ich jetzt nicht nur, das bloße ein- und ausschalten von Licht, was jedes Kind in der Kleinkind-Entwicklung gerne macht. Nein, er war fasziniert davon. Egal, wo wir hin kamen, das erste, was er sagte "mpe", sein Wort für Lampe und eines seiner ersten Worte überhaupt. Diese Begeisterung hält eigentlich bis heute an. Egal wo, es werden Lichter ein- und ausgeschaltet. Gerne in Arztpraxen oder in Situationen, wo wir warten müssen oder er sich etwas unwohl fühlt, lenkt Philipp sich so ab.

Keine Frage. Seine Auffälligkeiten, seine Besonderheiten, wichen für uns immer weiter von dem ab, was wir als "normal" kannten. Einige Dinge behielt er über längeren Zeitraum so bei, manche sind bis heute aktuell oder mal mehr oder weniger stark ausgeprägt. Wir beobachten aber eine Tendenz, dass er mehr und mehr in seiner Welt lebt. In Situationen, wo er sehr gestresst ist, sowieso, aber auch grundsätzlich werden seine Interessen immer einseitiger und seine sozialen Kontakte, wenn sie denn je ansatzweise da waren, werden immer eingeschränkter. Er scheint die meiste Zeit kaum ein Interesse an anderen Menschen oder gar Kindern zu haben. In einem kleinen Rahmen, wo er im besten Fall nur einer Person oder nur ein paar Personen gegenüber steht, da gelingt eine soziale Interaktion, wenn auch nur sehr mühsam und mit Unterstützung. Sobald die Gruppe aber zu groß wird, zieht er sich komplett zurück. In diesem Fall ist es auch völlig egal, ob ihm die Personen bekannt sind oder ob es für ihn Fremde sind.

Ich könnte hier noch endlos weitermachen, über all die Besonderheiten zu erzählen, die wir im Laufe der Jahre mit Philipp erlebt haben und die ihn einfach ausmachen. Egal, ob es seine Vorliebe ist lieber unbekleidet herumzulaufen, was er ja irgendwie als Baby schon lieber hatte, oder ob uns seine "Spinnenwerke" (s.o.) ins Wohnzimmer sperrten, seine Eigenarten beim Essen. Es ist so vieles mehr. Und vieles habt ihr in unseren Beiträgen schon erfahren oder ihr werdet darüber in kommenden Geschichten von uns darüber lesen. Neue Abenteuer mit Philipp gehen uns auf jeden Fall nicht aus.

Ja, unser Philipp ist anders.

Anders besonders.

Besonders liebenswert.

Huhuuuu! Manchmal müssen wir echt über Philipp lachen. Nicht, dass es nicht anstrengend ist, wenn er uns nächtlich auf Trab hält, aber manchmal ist es echt amüsant. Letzte Nacht bzw. Abend war wieder so ein Moment...

Der Tag ist rum, die Kinder (endlich) im Bett und was machen Eltern? Richtig, einschlafen. Naja zwar bestimmt nicht jeden Abend, aber zur Zeit zieht es uns sehr früh ins Bett. Vorschlafen, denn die Nacht endet bekanntlich ja doch etwas früher. Wir wollen uns mal nicht beschweren, denn momentan mit Durchschlafen immerhin erst um 5 Uhr etwa. Und uns ist durchaus bewusst, dass um diese Zeit für viele der Tag bereits beginnt. Trotzdem fallen uns gut und gerne um 20.30 bereits die Augen zu. Gott, wir werden alt....

Gestern sind wir also auch ziemlich schnell, nachdem die Jungs im Bett waren, ebenfalls ins Bett. Da lagen wir also so, reingekuschelt in unsere Bettdecken und ließen uns noch ein wenig vom Fernsehprogramm berieseln, da hörten wir die Tür vom Kinderzimmer aufgehen. Ein kleiner Babyelefant (so viel zum dahinschwebenden Nachtgespenst) trampelte zum Badezimmer. Das Licht blieb aus. "Das ist Philipp. Der hat wieder mal Badewasser getrunken."  Wir lauschten weiter. Die Toilettenspülung ging, die Badezimmertür viel mit einem Knall zu und das Getrampel entfernte sich auf der Treppe nach unten.

Mein Mann sprang auf und ging hinterher. Er fand Philipp im Wohnzimmer vor. Ohne Licht. Er saß auf der Couch und schüttelte seinen Kopf hin und her. Das macht er immer beim Einschlafen und beim Aufwachen. "Philipp, komm, ab ins Bett."

Philipp hatte offenbar nur Bett verstanden. Und vor dem Schlafengehen muss man was machen? Natürlich, auf Toilette gehen. Also wanderte er die Treppe wieder hoch und ging ins Badezimmer. "Philipp, du warst schon auf Toilette." Philipp reagierte nicht. Immer noch Kopf schüttelnd, setzte er sich auf die Toilette. Er stand auf und ging, vom Papa begleitet, wieder zurück ins Kinderzimmer, legte sich ins Bett, zog sich die Decke rüber und weg war er.

Das war mal eine Nachtwanderung der kürzeren Art von unserem kleinen Nachtgespenst und ließ uns noch eine Weile lachen. 

Philipp mit meiner Faschingsbrille
Philipp mit meiner Faschingsbrille
Ich hatte meine Familie gebeten einmal ihre Sicht der Dinge zu schreiben, wie sie die Situation mit Philipp erleben. Was sie darüber denken. Ich hatte ausdrücklich gebeten, dass sie einfach ehrlich schreiben sollen. Eine meiner großen Schwestern war nun die erste, die mir gestern folgenden Text schrieb. Ich hab einiges erwartet und vor allem Angst, dass Dinge kommen würden, was wir vielleicht alles falsch gemacht. Was aber dann kam, hat mich mehr als überrascht und es hat mich echt zum weinen gebracht. Es ist der Beweis, dass man nie aufhören sollte offen über Dinge zu reden, schon gar in der Familie...
"Hallo,
ich bin Manuela und eine Tante von Philipp. Meine Schwester hat mich gebeten mal meine Sicht über Philipp zu schreiben. 
Bis zu der Diagnose Schwerhörigkeit war Philipp ein glücklicher, wenn auch ein ziemlich wilder kleiner Junge. Als dann die Hörgeräte kamen, dachte ich jetzt wird’s leichter für Philipp, dass er sich nun endlich verständlich machen könnte . Aber genau das Gegenteil trat ein. Er wurde zunehmend aggressiver und wirkte zeitweise überfordert mit der ganzen Situation. Was mir auch auffiel, um so wilder Philipp wurde, um so weniger wollte auch meine Schwester außer Haus gehen. Das machte mich sehr betroffen. Denn sie, genau wie mein Schwager, sind eigentlich sehr gesellige Leute. Meine Schwester merkte bestimmt, dass nicht nur sie, sondern auch alle anderen aus der Familie mit dem Verhalten von Philipp überfordert waren. Vielleicht dachte sie auch, dass wir alle denken, sie könnte den Kleinen nicht erziehen. Als dann so überhaupt keine Besserung bezüglich der Kommunikation eintrat, begann meine Schwester vermehrt sich mit der Thematik auseinandersetzen. Letztendlich stand dann der Verdacht auf Autismus im Raum. Dadurch verstanden wir zwar manche Situationen besser, der Umgang mit Philipp war oder ist zeitweise aber nach wie vor schwierig. Das Problem ist, dass man nie weiß, wie oder warum Philipp auf etwas reagiert. Dazu kommt, dass er Gefahren überhaupt nicht einschätzen kann.
Einmal war ich mit Philipp alleine beim Bäcker und wollte ihm etwas kaufen. Da er mir aber nicht sagen konnte was er möchte, war raten angesagt. Selbst so ein kleiner Einkauf, war für mich schon durchaus eine Herausforderung. Ich hoffte also nur, dass ich es schnell erraten würde, da ich nicht wusste ob er mangels meiner Fantasie wütend wird und vielleicht auch noch auf die Straße läuft. Durch solche oder ähnliche Situationen überlegt man es sich, ob man mal auf den Kleinen für ein paar Stunden aufpasst. Auch wenn es keiner so direkt ausspricht, warum man nicht so gerne auf ihn aufpassen möchte, wusste und weiß meine Schwester den Grund sehr genau und hat sich dadurch noch weiter zurückgezogen. Das hatte zur Folge, dass sich auch Philipp immer weiter zurückzog. Ein Teufelskreis!! Nur man fühlt sich als Außenstehender relativ hilflos. Und die allgemeine Aussage "Das wird schon" ist nicht wirklich hilfreich. 
Mittlerweile gibt es aber Fortschritte. Kleine Schritte, aber für den kleinen Mann sehr große. Er versucht durch Gebärdensprache sich mitzuteilen, gelingt nicht immer, aber es wird. Wenn man ihm die Zeit lässt zu reagieren, lässt er sich auch auf neue Abenteuer ein. 
Über diese Entwicklung freue ich mich riesig für ihn und meine Schwester hat meinen größten Respekt für das, was sie die ganze Zeit leistet. Wahrscheinlich wäre Philipp jetzt nicht da, wo er momentan ist.
Er ist ein kleiner Sonnenschein, der sich sehr bemüht mit dem Alltag zurecht zu kommen. Dafür hab ich ihn einfach sehr lieb ❤."
 
Jedes einzelne Wort ist so wahr. Ja, ich hatte mich zurückgezogen. Ich hatte, das Gefühl, dass man Philipp nicht "wollte". Und ja, ich hatte auch immer das Gefühl, dass alle denken, wir würden etwas falsch machen mit Philipp. Vielleicht hätten wir einfach mal offener reden müssen.
Liebe Manuela, du sagst ihr wusstet manchmal auch nicht, wie ihr mit Philipp umgehen sollt. Aber darf ich dich daran erinnern, wer unseren kleinen Philipp, als er ein Baby war, beinahe auf jeder Familienfeier beruhigt hat? Jedes mal hat er geweint und geweint und hat sich durch nichts beruhigen lassen, nicht durch mich, nicht durch den Papa. Wir waren einfach zu nervös vielleicht, zu gestresst, weil es schon vorprogrammiert war, dass Philipp wieder zu schreien beginnen würde. Deine Ruhe und deine bunten Halstücher an denen er sich festgesehen hatte, waren der Grund, warum er dann doch immer wieder mal zur Ruhe kam. Danke!
Danke für deine Worte!